Peter Verhelst ist ein belgischer Autor, der in den Niederlanden lebt, mit der Veröffentlichung von Lyrik begann und inzwischen zahlreiche Romane und Dramen geschrieben hat - leider gibt es nur eine englische und zwei deutsche Übersetzungen.
Auf Tonguecat bin ich neulich in der exzellenten Helsinkier Stadtbibliothek gestossen, und habe sofort die beiden noch erhältlichen Bücher bestellt: Das Muskelalphabet und Der Farbenfänger (anders als der Titel vermuten läßt, kitschfrei).
Eigentlich liebe oder hasse ich Bücher, lese sie mit Spannung oder langweile mich und breche ab. Tonguecat ist das erste Buch, das mich zuerst restlos fasziniert hat, bis zur Atemlosgkeit, dann genervt, dann gelangweilt. Ich habe pausiert, nach einigen Tagen schwirrten all diese Sprachbilder immer noch in meinem Kopf, weitergelesen, heiß geliebt, Überflogenes neu gelesen ... Ein verrücktes Buch, dessen Struktur man mehr nachspürt, als dass man sie in jedem Moment analysieren könnte.
Muskelalphabet hat bei mir seltsamerweise Lisbeth Salander getriggert, die Geschichte ist etwas unspektakulärer und schlichter, aber auch pessimistischer. Der Farbenfänger hält bislang meine Faszination - die Sprache, die Bilder und Ideen sind so schön, dass ich das Buch nur in homöopathischen Dosen lesen kann: Mal einen Absatz, mal ein oder zwei Seiten oder gar ein Kapitel ... Auf mich wirken die Bilder so stark, dass mein Enthusiasmus die Brocken erst einmal verdauen muss, hin- und herwenden, bevor ich bereit für den Fortgang der Geschichte oder einen Szenenwechsel bin.
Aus Der Farbenfänger:
Meine Zeit wurde in Bildern gemessen. Unablässig wuchsen mir Pinsel aus den Fingern, ob ich sie abschnitt oder nicht. Ich schnitt Haut aus meinem Rücken und spannte sie auf einen Holzrahmen. Manchmal legte ich das Ohr an eine Leinwand und hörte ein Herz klopfen. Manchmal vernichtete ich ein Werk, weil es mich nachts wachhielt, sinnlos tickend wie ein Metronom.
(Goldmann Verlag, München 1999, S. 137)
Aus Tonguecat:
We sat there, shuddering, back to back, as if under a bell jar. And still I think my brother was wrong. We did hear something. Hold a glass to your ear and you hear the sea: that kind of silence. Something not there. A threatening absence. We didn't speak. His spine dug into my back. I watched my breath curl up into a plume. Two heads protruding from a blanket pitched around us like a tent. Breathe in, breathe out. His shoulder against my spine.
(Farrar, Straus und Giroux, New York 2003, S. 4)
Eine Inhaltsangabe der Bücher wäre zwecklos - die Geschichten wechseln zwischen Realität und Mythos, Wahrheit und Lügen, Aktuellem und Historischem, Fakt und Fiktion. Teils wechseln die Charaktere ihre Außenhaut - wenn auch nicht ihre Identität - oder Szenen werden aus verschiedenen Perspektiven immer wieder verändert neu erzählt. In Tonguecat reitet ein Titan mit seinem Schädelgürtel und Schwert auf einem Streitroß los, nur um in einem anderen Kapitel als Faschist vom Widerstand erschossen zu werden, letztlich wieder das Heimatdorf als verfaulte Leiche im Sattel erreicht. Verhelst folgt stets der Logik und Folgerichtigkeit seiner Figuren, nicht einer linearen, herkömmlichen Erzählstruktur.
Einerseits frage ich mich, wie ich diesen Autor so lange übersehen konnte - anderseits bin ich froh, denn ich hätte vermutlich zwei Texte nicht geschrieben, weil Verhelst hier meisterhaft etwas macht, womit ich experimentieren wollte, da ich es so noch nie gesehen hatte: den Aufbau über außerliterarische Strukturen. Noch anderseits ist es auch unwichtig, denn ich kann und will mich nicht mit so professionellen Autoren vergleichen, noch möchte ich schreiben wie jemand anderes.
Im Farbenfänger kündigt Goldmann weitere Bücher 'in Kürze' an - ein bisschen erinnert mich das an den Umgang der 20th Century Fox mit Nochnoj Dozor/Wächter der Nacht: erst etwas an Land ziehen, und dann den Weg nicht zuende zu gehen. Ich hoffe sehr, dass der englischsprachige Markt etwas engagierter ist! Mir graut es nämlich jetzt schon davor, mit dem Farbenfänger durch zu sein und danach nichts mehr vom Autor lesen zu können.
Meine Zeit wurde in Bildern gemessen. Unablässig wuchsen mir Pinsel aus den Fingern, ob ich sie abschnitt oder nicht. Ich schnitt Haut aus meinem Rücken und spannte sie auf einen Holzrahmen. Manchmal legte ich das Ohr an eine Leinwand und hörte ein Herz klopfen. Manchmal vernichtete ich ein Werk, weil es mich nachts wachhielt, sinnlos tickend wie ein Metronom.
(Goldmann Verlag, München 1999, S. 137)
Aus Tonguecat:
We sat there, shuddering, back to back, as if under a bell jar. And still I think my brother was wrong. We did hear something. Hold a glass to your ear and you hear the sea: that kind of silence. Something not there. A threatening absence. We didn't speak. His spine dug into my back. I watched my breath curl up into a plume. Two heads protruding from a blanket pitched around us like a tent. Breathe in, breathe out. His shoulder against my spine.
(Farrar, Straus und Giroux, New York 2003, S. 4)
Eine Inhaltsangabe der Bücher wäre zwecklos - die Geschichten wechseln zwischen Realität und Mythos, Wahrheit und Lügen, Aktuellem und Historischem, Fakt und Fiktion. Teils wechseln die Charaktere ihre Außenhaut - wenn auch nicht ihre Identität - oder Szenen werden aus verschiedenen Perspektiven immer wieder verändert neu erzählt. In Tonguecat reitet ein Titan mit seinem Schädelgürtel und Schwert auf einem Streitroß los, nur um in einem anderen Kapitel als Faschist vom Widerstand erschossen zu werden, letztlich wieder das Heimatdorf als verfaulte Leiche im Sattel erreicht. Verhelst folgt stets der Logik und Folgerichtigkeit seiner Figuren, nicht einer linearen, herkömmlichen Erzählstruktur.
Einerseits frage ich mich, wie ich diesen Autor so lange übersehen konnte - anderseits bin ich froh, denn ich hätte vermutlich zwei Texte nicht geschrieben, weil Verhelst hier meisterhaft etwas macht, womit ich experimentieren wollte, da ich es so noch nie gesehen hatte: den Aufbau über außerliterarische Strukturen. Noch anderseits ist es auch unwichtig, denn ich kann und will mich nicht mit so professionellen Autoren vergleichen, noch möchte ich schreiben wie jemand anderes.
Im Farbenfänger kündigt Goldmann weitere Bücher 'in Kürze' an - ein bisschen erinnert mich das an den Umgang der 20th Century Fox mit Nochnoj Dozor/Wächter der Nacht: erst etwas an Land ziehen, und dann den Weg nicht zuende zu gehen. Ich hoffe sehr, dass der englischsprachige Markt etwas engagierter ist! Mir graut es nämlich jetzt schon davor, mit dem Farbenfänger durch zu sein und danach nichts mehr vom Autor lesen zu können.